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Levent (Name ist frei erfunden)

Jede Geschichte hat einen Anfang, sagt man. Doch wo genau der Anfang liegt ist meistens nicht genau zu definieren. Ich weiß, dass mein Opa schon ein schwer traumatisierter Mann war, der den ganzen Tag fluchte, seine Frau und seine Kinder schlug und praktisch gesehen keine liebenswürde Seite an sich hatte. Mein Vater erzählte mir, dass sobald er gehen konnte, er schon auf dem Bauernhof meines Opas arbeiten musste. Ständig gab es für ihn schwere Prügel und Beleidigungen. Mit 16 floh dann mein Vater aus dem Haus und lebte auf der Straße, in dem er tagsüber als Schuhputzer arbeitete und Nachts auf Parkbänken schlief. Er wurde dabei mehrfach verprügelt und ausgeraubt. Als er mit 20 Jahren die Möglichkeit bekam als Gastarbeiter in Deutschland zu arbeiten, überlegte er nicht lange und nahm die Möglichkeit wahr und verließ seine Heimat Türkei. Er heiratete und ich und mein Bruder kamen in Deutschland auf die Welt. Es ist nicht ganz klar, wann genau mein Vater anfing mich und meinen Bruder zu schlagen, aber es muss so im Kindergartenalter gewesen sein. Fast täglich wurden wir massiv geschlagen, angebrüllt und beleidigt. Das hörte erst auf, als ich mit 21 Jahren zum ersten Mal zurück schlug. Dass mein Vater selbst ein schwer gestörter und traumatisierter Mensch ist, lieg wohl auf der Hand.

Trotz all dieser Umstände, dachte ich bis zu meinem 40sten Lebensjahr, dass ich ein ganz normaler und gesunder Mensch bin. Ich hatte bis dato niemals irgendetwas in Frage gestellt, sondern alles immer verdrängt. Doch mit 40 fing ich an, mein Leben zu reflektieren und bemerkte so vieles, was vorher immer verdrängt wurde, beziehungsweise als normal empfunden wurde. Ich nahm seit dem ich 16 Jahre alt war Drogen und war schon lange abhängig, ohne dass ich es mir selbst eingestehen konnte. Ich war nicht beziehungsfähig, so dass ich weder verheiratet bin, noch in einer Beziehung lebe. Kinder habe ich auch nicht zur Welt gebracht. Anfangs war ich zwar beruflich sehr erfolgreich, aber dann bekam ich schwere Depressionen, so dass ich der Arbeitswelt den Rücken zugedreht hatte. Ich habe sehr enge Freunde in meinem Leben gehabt, mit denen allen ich im Streit auseinander gegangen bin. Praktisch isoliert von der Welt habe ich die letzten 10 Jahre in meiner Wohnung alleine verbracht. Dabei war ich die meiste Zeit schnell reizbar, trug eine schwere Wut mit mir herum und bekam immer wieder Depressionen.

Erst als ich mir selbst eingestand, dass etwas mit mir nicht stimmt, konnte ich Schritt für Schritt anfangen mein Leben neu aufzubauen. Als erstes ging ich zum Arzt und erzählte ihm von meiner Drogensucht und meiner schweren Kindheit. So kam ich in ein Reha Programm, wo ich mit den Drogen aufhörte. Das ganze wurde von Therapeuten begleitet, die dann relativ schnell feststellten, dass ich auf Grund der Gewalterfahrung in meiner Kindheit traumatisiert bin. Man empfahl mir die EMDR Trauma Therapie und so lernte ich dann Herrn Faßbender kennen. Auf einer sehr menschlichen Ebene wurde mir das Thema EMDR näher gebracht. Ich selber beschrieb mich immer als Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Die meiste Zeit war ich ein netter, freundlicher Mensch, aber wenn dann aus irgendeinem Grund die Wut in mir aufstieg, war ich nicht wieder zu erkennen. Sogar ich selber bekam Angst vor dieser anderen wütenden Persönlichkeit, die Bereit war die gleichen Fehler wie mein Opa und Vater zu begehen. Herr Faßbender erklärte mir, dass das ein typisches Phänomen ist, das auf Grund der Traumatisierung entstanden ist. Der Mensch hat zwei Gehirnhälften, und bei gesunden Menschen sind diese beiden Gehirnhälften gleich gut entwickelt. Bei traumatisierten Menschen ist zwar die eine Gehirnhälfte gut entwickelt, während die andere Gehirnhälfte noch relativ kindlich geblieben ist, sich verletzt fühlt, oft Angst hat und die unglaubliche Wut auslöst. Durch die EMDR Therapie werden die beiden Gehirnhälften sozusagen synchronisiert, so dass man als Mensch seine Mitte findet. Selbstverständlich sind diese EMDR Sitzungen nicht einfach, Wut kommt gerne mal auf, Tränen fließen oft und man wird auch sehr nachdenklich. Aber irgendwann ändert sich dass dann, weil die Therapie seine Wirkung zeigt und man tatsächlich seine Mitte findet. Also gerade zum Schluß der Therapie habe ich oft mit Herrn Faßbender laut aus dem Bauch heraus gelacht.

Ich würde heute nicht sagen, dass ich ein neuer Mensch bin. Selbstverständlich bin ich immer noch die gleiche Persönlichkeit und der gleiche Mensch, aber ich führe ein neues Leben. Dadurch, dass ich dank der EMDR Therapie näher zu meiner Mitte gefunden habe, kann ich viel besser mit der Wut in mir umgehen. Ich kann sogar mittlerweile das Leben genießen und bin froh, dass ich diese Gewaltspirale, die seit Generationen in meiner Familie existiert, durchbrechen konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Levent
und vielen Dank nochmals für Alles